Wenn es nach den Briten ginge, würde Großbritannien die EU am 29.03.2019 verlassen. Je nach Austrittsszenario sind die Auswirkungen vielfältig – auch im Hinblick auf die Sozialversicherung bei Mitarbeiterentsendungen.
Trotz aller Bemühungen auf europäischer Ebene gestalten sich die Austrittsverhandlungen zwischen den 27 EU-Mitgliedsstaaten und Großbritannien weiterhin sehr schwierig. Ein Austrittsabkommen ist nicht in Sicht. Demzufolge ist bislang nicht absehbar, ob
- es bis zum 29.03.2019 tatsächlich zu einem Austrittsabkommen kommt,
- das festgelegte Austrittsdatum möglicherweise um bis zu zwei Jahre verschoben wird
- oder ein ungeordneter Brexit-Austritt ohne entsprechende Regelungen in Betracht gezogen werden muss.
In Unternehmen, die Mitarbeiter nach Großbritannien entsandt haben bzw. Briten in Deutschland beschäftigen, wächst mit dem Herannahen des magischen Datums die Nervosität. Wie geht es weiter? Was müssen wir beachten? Grundsätzlich sind aktuell zwei Szenarien der Sozialversicherung denkbar:
1. Die EU-Verordnung VO (EG) 883/2004 ist (u. U. vorübergehend) weiterhin anwendbar
Unter der Annahme, dass bis zum 29.03.2019 noch ein Austrittsabkommen zwischen Großbritannien und der EU ausgehandelt wird, wird die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 für eine Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 weiterhin Anwendung finden. In dieser Übergangsphase müssen die künftigen Regelungen, die ab dem 1. Januar 2021 gelten sollen, zwischen den Ländern ausgehandelt werden.
Zu beachten gilt, dass unter diesen Voraussetzungen ab dem 30.03.2019 neue A1-Bescheinigungen beantragt werden müssten.
Dieses Regelung käme ebenfalls bei einer Verlängerung des Austrittsdatums sowie bei einem Rücktritt Großbritanniens vom Brexit zur Anwendung.
2. Anwendung des deutsch-britischen Sozialversicherungsabkommens
Kann ein Brexit-Deal zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und Großbritannien nicht ausgehandelt werden, käme es am 29.03.2019 grundsätzlich zu einem so genannten „No Brexit Deal“. Danach würde Großbritannien die EU ungeregelt verlassen. In diesem Fall würde ab dem 30.03.2019 voraussichtlich das deutsch-britische Sozialversicherungsabkommen vom 20.04.1960 wieder zur Anwendung kommen, welches nach wie vor aktiv ist. Für Mitarbeiter, die im Rahmen von Dienstreisen oder Entsendungen in Großbritannanien oder in Deutschland tätig sind, würden sich danach kaum Unterschiede ergeben. Ein Blick in das Sozialversicherungsabkommen und das Abkommen zur Arbeitslosenversicherung zeigt: Der sachliche Geltungsbereich der Vereinbarungen deckt die Zweige der gesetzliche Kranken-, Renten-, Arbeitslosen und Unfallversicherung sowie den Anspruch auf Kindergeld ab. Die gesetzliche Pflegeversicherung ist darin nicht explizit aufgeführt. Sie folgt aber in der Regel der Krankenversicherung und dürfte somit ebenfalls in das Abkommen einbezogen sein.
Keine Regelungen bei Mehrfachbeschäftigung in Deutschland und Großbritannien
Unterschiede zur VO (EG) 883/2004 ergeben sich jedoch hinsichtlich der zeitlichen Befristung einer Entsendung, die in dem 1960er Abkommen auf maximal 12 Monate festgelegt ist. Zudem enthält das Abkommen keine Regelungen für Mitarbeiter, die regelmäßig sowohl eine Beschäftigung in Deutschland als auch in Großbritannien ausüben. Hier muss unter Umständen davon ausgegangen werden, dass zunächst die Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten zur Anwendung kommen.
Sollte das deutsch-britische Sozialversicherungsabkommen aus dem Jahre 1960 nicht reaktiviert werden, wäre Großbritannien im Verhältnis zu Deutschland künftig als „vertragloses Ausland“ zu betrachten. Damit würde sich die Sozialversicherungspflicht entsandter Mitarbeiter wiederum nach den nationalen Rechtsvorschriften beider Länder richten und Doppelversicherungen könnten nicht werden.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit das veraltete deutsch-britische Sozialversicherungsabkommen von Relevanz sein wird. Es ist nicht auszuschließen, dass das bestehende Abkommen neu verhandelt wird und entsprechend neue Regelungen getroffen werden.
Es bleibt spannend, wie der Sozialversicherungsschutz bei Mitarbeiterentsendung nach dem 30.03.2019 geregelt wird. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Nähere Informationen erteilt auf Wunsch:
Marlis Tiessen
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