Die A1-Bescheinigung spielt eine zentrale Rolle bei der Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb der EU, des EWR und der Schweiz. Sie dokumentiert, dass der Mitarbeiter weiterhin im Heimatland sozialversichert bleibt, auch wenn er vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat arbeitet. Doch was passiert, wenn die Bescheinigung fehlerhaft ausgestellt wurde? Kann sie nachträglich widerrufen werden, oder bleibt sie trotz Fehlern bindend?
Diese Fragen wurden kürzlich durch ein wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH-Urteil vom 16.11.2023, C-422/22) geklärt. Der EuGH entschied, dass der Widerruf einer A1-Bescheinigung durch den ausstellenden Träger möglich ist – mit erheblichen Konsequenzen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Bindungswirkung von A1-Bescheinigungen nur bis zum Widerruf
Die A1-Bescheinigung muss für jede Entsendung oder Mehrfachbeschäftigung innerhalb der EU, des EWR und der Schweiz beantragt werden. Für den Arbeitgeber ist es entscheidend sicherzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der A1-Bescheinigung erfüllt sind. Sobald die A1-Bescheinigung vom Sozialversicherungsträger ausgestellt ist, ist sie in der Regel sowohl für die Sozialversicherungsträger als auch für die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Arbeiten ausgeführt werden, bindend – es sei denn, sie wird widerrufen oder für ungültig erklärt. Das gilt sogar bei offensichtlichen Fehlern oder Missverständnissen (EuGH, Urteil vom 06.09.2018 – C-527/16).
Bisher: Widerruf nur im Dialog- und Vermittlungsverfahren möglich
Bislang konnte eine A1-Bescheinigung nur dann widerrufen werden, wenn der Mitgliedsstaat des Arbeitseinsatzes im Rahmen eines Dialog- und Vermittlungsverfahrens eine Überprüfung verlangte. Stellten sich dabei Fehler heraus oder hatten sich die Verhältnisse verändert, konnte die A1-Bescheinigung von Amts wegen widerrufen werden.
Neues EuGH-Urteil: Widerruf auch ohne Zustimmung möglich
Das EuGH-Urteil vom 16. November 2023 bringt eine bedeutende Änderung. Der Gerichtshof entschied, dass ein Widerruf der A1-Bescheinigung durch den ausstellenden Sozialversicherungsträger auch ohne die Zustimmung des ausländischen Mitgliedsstaates möglich ist. Der ausstellende Sozialversicherungsträger ist verpflichtet, die Angaben zu überprüfen und die Bescheinigung rückwirkend zu widerrufen, falls die Voraussetzungen für ihre Ausstellung nicht mehr erfüllt sind. Dies kann erhebliche Folgen für den Arbeitnehmer haben.
Handlungsempfehlung für Unternehmen:
Vor der Beantragung einer A1-Bescheinigung sollten Unternehmen sorgfältig prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Entsendung erfüllt sind. Korrekte Angaben im Antragsformular sind entscheidend, um spätere Probleme zu vermeiden. Falls sich die Verhältnisse während des Arbeitseinsatzes verändern, ist der Sozialversicherungsträger unverzüglich zu informieren.
Kommt es zu einem Widerruf der A1-Bescheinigung, können bereits gezahlte Sozialversicherungsbeiträge im Heimatland zurückgefordert werden. Für den Arbeitnehmer gelten dann rückwirkend die Vorschriften zur Sozialversicherung des Einsatzlandes. Es müssen dann rückwirkend die Sozialversicherungsbeiträge im Einsatzland nachzahlen – sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmeranteil. Zusätzlich können Versäumniszuschläge und Strafen drohen.
Eine schnelle Klärung der Situation ist daher unerlässlich, um finanzielle Nachteile zu vermeiden.
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